Foto: Verena Meier

Climate Crisis? Stop and listen!

Oliver Mascarenhas und ein politisches Musik-Experiment

Oliver Mascarenhas ist Cellist bei der NDR-Radiophilharmonie und hat schon einige Musik-Experimente gewagt. Jetzt hat er den Anstoß zu einem Projekt an der Schnittstelle von Kunst und Politik gegeben. „Climate Crisis? Stop and listen!“ Grundlage dafür ist „Die Klimadebatte“ von Mehr Demokratie.

Die Auseinandersetzung über die Klimakrise wird nicht nur auf der intellektuellen Ebene und mit rationalen Argumenten geführt, sondern sie berührt alle auch emotional. Wir erleben Angst, Wut, Abwehr, aber auch Hoffnung, Tatendrang, Mitgefühl. Es lohnt sich also, innezuhalten und zuzuhören. Gemeinsam mit einem Team von professionellen Musikerinnen und Musikern werden diese verborgenen Aspekte der Klimadebatte hörbar gemacht. Dafür wurden vier unterschiedliche gesellschaftliche Positionen ausgewählt. Jede Position wird durch ein eigens komponiertes Musikstück verkörpert - und am Schluss fließen die unterschiedlichen Stile und Instrumente zusammen.

Das Ensemble:

Oliver Mascarenhas: Violoncellist, Ideengeber.

Julian Scarcella: Gitarrist, Komponist und Produzent.

Yoshie Okura: Erste Geige.

Ksenia Kashirina: Zweite Geige.

Kari Träder: Erste Bratsche.

Irina Kalinowska: Zweite Bratsche.

Mario Ehrenberg-Kempf: Bassist.

Christoph Wirz: Schlagzeuger.

Anne Dänner hat mit dem Initiator Oliver Mascarenhas über das gemeinsame Projekt gesprochen

Wie klingt die Klimadebatte?

A.D.: Lieber Oliver, das erste Mal haben wir im April miteinander gesprochen. Unmittelbar nach der Auftaktveranstaltung zur Klimadebatte hatte ich eine begeisterte Nachricht von Dir auf der Mailbox, dass Du zu diesem Projekt gerne was Musikalisches machen würdest...und so fing alles an. Was hat Dich dazu gebracht, zum Handy zu greifen?

O.M.: Inspiriert wurde ich von einem hochinteressanten Musikprojekt mit dem Elbphilharmonie Orchester. Ausgangsbasis waren Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, deren Partitur mit einem Algorithmus neu bearbeitet wurde. Dieser Algorithmus basierte auf aktuellen Wetterdaten und das Elbphilharmonie Orchester hat diese „neu bearbeitete“ Version live in der Elbphilharmonie uraufgeführt. Das Original war über weite Strecken nicht mehr wiederzuerkennen, ja regelrecht zerstört. Das ließ mich aufhorchen, ich wollte mich über weitere Aktivitäten für den Klimaschutz informieren. Seit einiger Zeit erhalte ich den Newsletter von „Mehr Demokratie e.V.“ und so stieß ich auf „Die Klimadebatte“. Ich wollte mehr erfahren, nahm an einem entsprechenden Videocall teil und meldete mich wenig später bei Dir, Anne, mit der Frage, ob auch künstlerische Elemente in Bezug auf die Klimadebatte von Interesse wären. Zusammen mit Julian Scarcella, der für die großartige Vertonung verantwortlich ist, und mit Steffen Krenzer als Projektleiter von Die Klimadebatte haben wir dann die konkrete Idee zu „Climate Crisis? Stop and listen!“ entwickelt...

A.D.: Es war dann ziemlich schnell klar, dass gegensätzliche Stimmen aus der Klimadebatte musikalisch gefasst werden sollen. Vier Stimmen wurden ausgewählt, die in der Klimadebatte häufig vorkommende Positionen verkörpern: Die mahnenden Stimmen, die unmittelbar von Leid betroffenen Stimmen, diejenigen, die alles als „Hysterie“ abtun und die Fortschritts-Optimistischen. Warum hat Dich gerade dieses Gegenüberstellen überzeugt, das ja auch immer ein bisschen plakativ ist?

O.M.: Diese Frage möchte ich gerne mit einem Zitat J.S. Bachs beantworten: „Und soll wie aller Musik also auch des Generalbasses Finis und Endursache anders nicht als nur zu Gottes Ehre und Erholung des Gemütes sein. Wo dieses nicht in Acht genommen wird, ist‘s keine eigentliche Musik, sondern ein Teuflisches Geplärr und Geleier.“ Bach wollte aufklären und die Anbetung Gottes als das höchste Gut in seiner Musik verewigt wissen. Ihm trieb es die Schamesröte ins Gesicht, wenn Musik nur zum Gebrauch oder Unterhaltung verwendet wurde. Wir können uns nicht gänzlich davon freisprechen, mit unserer Uraufführung auch zu unterhalten. Ich bin aber davon überzeugt, dass der interessierte Zuschauer wenn er denn dazu bereit ist bewusst hinzuhören, die ernsten Untertöne und somit einen musikalischen Verweis auf die Klimakrise wahrnehmen wird. Bach war ein Meister der „gegensätzlichen Stimmen“. Man denke nur an die „Kunst der Fuge“, in deren Konzeption er es meisterlich verstand, unterschiedliche Stimmen und Kontrapunkte auf eine „abenteuerliche Reise“ zu schicken und am Ende zu „versöhnen“.

A.D.: ...das passt ja auch ziemlich gut zur Resonanz-Idee, die Mehr Demokratie seit einigen Jahren begleitet und zu der es sogar ein eigenes Buch gibt: „Demokratie, die Unvollendete“ von Ute Scheub. Sehr vereinfacht gesagt ist die These, dass Menschen Resonanzwesen sind und dass Politik nur gelingt, wenn wir einander zuhören und uns aufeinander einstimmen.

Glaubst Du, dass das bei der Klimafrage überhaupt möglich ist, auf gemeinsame Nenner zu kommen?

O.M.: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich versuche mir öfters vorzustellen wie es sein mag, ein Vorstandsvorsitzender oder Regierungschef zu sein. Ein solcher Mensch hat vermutlich irgendwie die „Macht“, gleichzeitig muss er aber auch einer endlosen Zahl an Pflichten, Erwartungen, Protokollen, Dienstwegen, Hierarchien, Lobbyisten, Oppositionen, Eitelkeiten, unmittelbarer Kollegen und diversen Kleinkram etc. standhalten. Das stelle ich mir nicht leicht vor. Wichtige Entscheidungen werden wahrscheinlich oft vertagt oder gar verdrängt und dennoch beobachte ich gerade in Deutschland, dass die Bürokratie trotz einer großen Anzahl an Fehlentscheidungen und gelegentlichen Skandalen erstaunlicherweise gut funktioniert. 
J.S. Bach sagt zum Thema Verantwortung: "Was könnt uns Gott wohl Besseres schenken, als dass er unsrer Obrigkeit den Geist der Weisheit gibt, die zu jeder Zeit das Böse straft, das Gute liebet, ja, die bei Tag und Nacht für unsre Wohlfahrt wacht?" 
Zu Bachs Zeiten lenkte die Obrigkeit die Staatsgeschicke. Aber heute ist die Welt so komplex, individualisiert und vernetzt, dass das nicht mehr funktioniert und ein paar Weise bei Weitem nicht mehr ausreichen. Wir brauchen heute die Weisheit der vielen, um mehr Wohlfahrt zu erreichen. Um es ein wenig herunterzubrechen: Wir tun gut daran, uns immer wieder auf unser eigenes Tun im Alltag zu besinnen und Achtsamkeit zu üben z.B. im verinnerlichten Konsumverhalten. Es ist fünf vor 12, aber das Kind ist noch nicht in den Brunnen gefallen.

A.D.: Nun könnte man mit zynischem Blick sagen: „Den Leuten reißt es die Häuser im Hochwasser weg und ihr macht hier Musik...Was soll das?“. Warum ist es trotzdem oder vielleicht auch gerade jetzt, wo die Klimakrise auch in Deutschland immer spürbarer wird, so wichtig, sich der Klimafrage auch kulturell zu nähern?

O.M.: Krisen haben seit jeher Künstler dazu inspiriert, einen bedrohlichen Zustand zu begreifen, mit ihren Fähigkeiten zu erklären und im besten Fall Menschen aufzurütteln. Ob Globalisierung, Kapitalismus, Finanzkrise, Corona und die daraus resultierende Orientierungslosigkeit von Politikern, Wirtschaftsbossen oder Verbrauchern - und jetzt am Beispiel des Hochwassers in Ahrweiler, die wieder brutal ins Blickfeld gerückte Klimaerwärmung - Kunst soll helfen, die Krise zu verstehen. Vielleicht kann sie auch helfen, ein so naturgewaltiges Phänomen abzumildern und mit dem Herzen erlebbar zu machen. Die Musik ist da ein hervorragendes Medium, weil es eine gewisse „Metaebene“ eröffnet und zudem Trost spendet. Ich denke gerade an den Untergang der Titanic. Es heißt, die letzten Passagiere auf dem Schiff waren die Herren des Streichquartetts. Sie spielten wohl bis zum Schluss, ohne die Katastrophe aufhalten zu können. Ich hoffe, in unserem Fall geht die Sache besser aus, denn wir können noch Einfluss nehmen.

A.D.: Vielen Dank für das Gespräch und den Anstoß zu diesem tollen Projekt, Oliver.


Das Musik-Experiment wurde am 15. September, dem Internationalen Tag der Demokratie, in einer Online-Veranstaltung uraufgeführt. Auf dem YouTube-Kanal von Mehr Demokratie können Sie es nacherleben. Auch hier auf der Projekt-Webseite.